Der Krebs der Speiseröhre

von H J Stein, J Zacherl – Chirurgische Klinik und Poliklinik (München)

Die Speiseröhre (Ösophagus) ist ein ca. 25 cm langer Muskelschlauch, der vom Kehlkopf bis zum Mageneingang reicht und für den Transport von Nahrung aus dem Rachen zum Magen verantwortlich ist. Die innerste Schicht der Speiseröhre ist in der Regel von Plattenepithel ausgekleidet.

Bei etwa 10% der Patienten mit chronischen Refluxbeschwerden wird das Plattenepithel im unteren Anteil der Speiseröhre durch ein Zylinderelpithel ersetzt (der sogenannte Barrett Ösophagus).

Plattenepithel und Zylinderzellen

Unter dem Begriff Ösophaguskarzinom werden die von der oberflächlichen Zellschicht ausgehenden, bösartigen Neubildungen in allen Bereichen der Speiseröhre zusammengefasst. Überwiegend handelt es sich dabei um Plattenepithelkarzinome (ausgehend vom Plattenepithel) und Adenokarzinome (ausgehend vom Zylinderepithel). Entsprechend der normalen Wandauskleidung treten Plattenepithelkarzinome entlang der gesamten Speiseröhre auf. Adenokarzinome finden sich überwiegend im unteren Speiseröhrenabschnitt und am Übergang zwischen Speiseröhre und Magen. Während sich die Häufigkeit des Plattenepithelkarzinoms in den letzten Jahren nicht wesentlich verändert hat, hat das Adenokarzinom in Europa und den USA deutlich an Häufigkeit zugenommen. Männer sind sowohl beim Plattenepithelkarzinom als auch beim Adenokarzinom der Speiseröhre häufiger betroffen als Frauen.

Welche bekannten Ursachen gibt es?

Für die Entstehung eines Plattenepithelkarzinoms in der Speiseröhre ist in Europa im Wesentlichen ein jahrelanger Alkohol- und Nikotinabusus verantwortlich. Im Gegensatz dazu entwickelt sich das Adenokarzinom praktisch immer als Folge eines langjährigen chronischen Refluxes von Mageninhalt in die Speiseröhre. Der sogenannte Barrett Ösophagus stellt hier den wesentlichen Risikofaktor dar. Durch eine regelmäßige Kontrollendoskopie kann bei diesen Patienten häufig ein Karzinom frühzeitig entdeckt und durch einen limitierten Eingriff geheilt werden.

Wie für alle Tumoren gilt auch für das Karzinom des Ösophagus, dass mit früherer Diagnose eine günstige Prognose erzielbar ist.

Das Symptom “Schluckstörung” (Dysphagie) stellt in der westlichen Welt in den meisten Fällen den Ausgangspunkt der Diagnosestellung dar. Da eine Dysphagie in der Regel erst auftritt, wenn 2/3 des Ösophagusweite vom Tumor verlegt sind, oder das Lumen weniger als 11 mm weit ist, ist die Dysphagie in der Regel ein Spätsymptom des Ösophaguskarzinoms.

Gewichtsverlust, Kachexie, Schmerzen und Heiserkeit sind weitere Symptome, welche ein fortgeschrittenes Tumorstadium anzeigen. Frühsymptome wie retrosternales Brennen oder Globusgefühl sind unspezifisch und führen in der Regel nicht zur Diagnosestellung.

Die erste Maßnahme zur Abklärung eines Patienten mit Schluckbeschwerden ist die Endoskopie und Biopsie. Durch endoskopische Färbemethoden (z.B. mit Lugol’scher Lösung bei V.a. Plattenepithelkarzinom oder Methylenblau bei Patienten mit Barrett Ösophagus) lassen sich auch makroskopisch nicht sichtbare Tumore nachweisen.

Ultraschall und Endoskopie

Mittels endoskopischem Ultraschall kann die Tumorinfiltrationstiefe mit einer Genauigkeit von ca. 85 % vorhergesagt werden. Die Röntgenkontrastdarstellung erlaubt zwar ebenfalls die Darstellung von Schleimhautveränderungen, kann aber über die Wertigkeit der Veränderung keine sicheren Aussagen machen, sodass bei auffallenden Befunden in jedem Fall eine Endoskopie angeschlossen werden muss.
Tumormarker sind im Rahmen der präoperativen Diagnostik unspezifisch und wenig sensitiv.

Im weiteren: CT und PET

Die Computertomographie zeigt die Wandverdickung, eine eventuelle Infiltration in benachbarte Organe und ggf. das Vorhandensein von Metastasen in Lymphknoten, der Lunge und der Leber. Die Positronen-Emission-Tomographie (PET) wird zunehmend häufiger zum Ausschluss von Fernmetastasen eingesetzt.

Die Klassifikation der Karzinome des Ösophagus erfolgt anhand dieser Untersuchungsverfahren und dient als Basis für die Wahl des Therapiekonzepts, operativen Zugangs und das Ausmaß der Resektion.

Im Gegensatz zur häufig vertretenen fatalistischen Einstellung handelt es sich beim Ösophaguskarzinom durchaus um einen heilbaren Tumor. Grundsätzlich stehen die chirurgische Entfernung, die Strahlentherapie, Chemotherapie, die Kombination dieser Verfahren (multimodale Therapie) und rein palliative Maßnahmen zur Verfügung. Die Selektion der Therapie erfolgt in Abhängigkeit vom Ausmaß der Tumorerkrankung und dem Allgemeinzustand des Patienten.

Die Selektion zur Therapie

Eine alleinige chirurgische Therapie ist immer dann die Therapie der Wahl, wenn aufgrund der präoperativen Abklärung eine komplette Tumorentfernung mit hoher Wahrscheinlichkeit möglich erscheint, und der Allgemeinzustand des Patienten einen ausgedehnten chirurgischen Eingriff erlaubt. Technisch ist eine komplette Tumorresektion bei Tumoren ohne Wandüberschreitung praktisch immer möglich.
Bei Patienten mit fraglicher kompletter Resektabilität sollten multimodale Therapiekonzepte zum Tragen kommen, falls es ihr Allgemeinzustand erlaubt. Bei Patienten mit kleineren Tumoren, deren Allgemeinzustand eine chirurgische Therapie verbietet, sollte eine Radio-/Chemotherapie unter kurativen Gesichtspunkten oder lokale endoskopische Therapieverfahren erwogen werden. Bei Vorliegen von Fernmetastasen kommen palliative Therapiekonzepte zum Einsatz.

Chirurgische Resektion

Die primäre radikale chirurgische Resektion stellt das wesentliche Therapieprinzip bei allen Patienten mit resektablem Ösophaguskarzinom dar, falls es der Allgemeinzustand des Patienten erlaubt und keine Fernmetastasen vorliegen. Eine komplette Tumorresektion mit ausreichendem Sicherheitsabstand im Bereich des Primärtumors und seines Lymphabflussgebietes (R0-Resektion) muss das Hauptziel jedes chirurgischen Therapieansatzes sein. Wird dieses Ziel nicht erreicht, verbleibt der Eingriff palliativ. Die chirurgische Therapie hat deshalb neben der Tumorlokalisation vor allem auch die Lymphabflusswege zu berücksichtigen. Durch Standardisierung der Resektions- und Rekonstruktionstechniken und durch Fortschritte im postoperativen Management lässt sich heute eine Ösophagusresektion mit systematischer Lymphknotenentfernung und Rekonstruktion der Speisepassage bei ausgewähltem Patientengut mit einer Mortalität von weniger als 3 % durchführen. Das Alter des Patienten hat dabei keinen Einfluss auf die Mortalität.

– beim Plattenepithelkarzinom der Speiseröhre

Beim Plattenepithelkarzinoms des Ösophagus wird die gesamte Speiseröhre gemeinsam mit den Lymphknoten über einen Zugang im Bereich des rechten Brustkorbes entfernt. Technisch am einfachsten und deshalb am weitesten verbreitet ist die Rekonstruktion der Speisepassage durch Hochzug eines Magenschlauches. Dies erfolgt durch einen weiteren Schnitt im Bereich des Oberbauches und des Halses. Die Prognose eines Plattenepithelkarzinoms des Ösophagus ist nach chirurgischer Resektion besser als vielfach dargestellt. Ist eine komplette Entfernung möglich, so kann unabhängig vom Tumorstadium mit einer 5-Jahres Überlebensrate von ca. 30%-40 % gerechnet werden. Die Prognose von Patienten mit einem auf die Schleimhaut beschränkten Plattenepithelkarzinom ist mit einer 5-Jahres Überlebensrate von über 80 % ausgezeichnet. Bei Befall der Submukosa sinkt die 5-Jahres-Überlebensrate bei Patienten mit Plattenepithelkarzinomen der Speiseröhre auf ca. 50 %.

– beim Adenokarzinom der unteren Speiseröhre

Bei einem Adenokarzinom im unteren Speiseröhrenbereich erfolgt eine subtotale Entfernung der Speiseröhre und des obersten Magenanteils. Der Eingriff wird zumeist nur vom Bauch und vom Hals ausgeführt. Die Kontinuität wird in der Regel ebenfalls durch die Bildung eines engen Magenschlauches und die Verbindung desselben mit dem verbliebenen Speiseröhrenrest wiederhergestellt. Bei frühen Tumorstadien kann eine limitierte Resektion alleine von einem Bauchschnitt aus erfolgen. Die 5-Jahres-Überlebensrate nach Resektion eines Adenokarzinoms der Speiseröhre ist deutlich besser als beim Plattenepithelcarcinom. Liegen keine Metastasen in den Lymphknoten vor, können mehr als 70% der Patienten durch die Operation geheilt werden.

Nach wie vor unterschiedlich diskutiert wird das Vorgehen beim Nachweis von hochgradigen Zellveränderungen im Barrett Ösophagus. In der Regel findet sich bei mehr als 50 % der Patienten, welche aufgrund des endoskopisch/bioptischen Befundes einer hochgradigen Dysplasie operiert wurden, im Resektat ein invasives Karzinom. Die Mehrzahl der Experten empfiehlt deshalb bei Bestätigung einer hochgradigen Dysplasie im Barrett Ösophagus durch zwei unabhängige Pathologen die Durchführung einer limitierten Resektion, falls es sich um einen Patienten in gutem Allgemeinzustand handelt.

Endoskopische Therapieverfahren:

Eine rein endoskopische Resektion oder Zerstörung des Tumors kann nur bei Patienten mit eindeutig auf die Schleimhaut beschränkten Karzinomen erwogen werden, bei denen eine Lymphknotenmetastasierung nicht zu erwarten ist. Die Ungenauigkeit derzeitiger Untersuchungsmethoden in der Differenzierung von Schleimhaut (Mukosa) und darunterliegender Schichten sowie die häufige Multizentrizität der Karzinome limitiert den breiten klinischen Einsatz dieser minimal invasiven Therapiemodalitäten, so dass wir ihren Einsatz beim funktionell operablen Patienten derzeit nicht für vertretbar halten.

Multimodale Therapiekonzepte

Aufgrund der zum Diagnosezeitpunkt häufig bereits lokal fortgeschrittenen Tumorsituation wurden in den letzten Jahren vermehrt multimodale Therapiekonzepte eingesetzt. Grundsätzlich kamen dabei Strahlentherapie, Chemotherapie und kombinierte Radio-/Chemotherapie vor oder nach der chirurgischen Resektion zur Anwendung. Da bislang nicht gesichert ist, welche Patienten von diesen aufwendigen und belastenden Verfahren profitieren, sollte ihr Einsatz nur im Rahmen kontrollierter Studien erfolgen.

Palliative Maßnahmen

Bei Vorliegen von Fernmetastasen oder Einwachsen des Tumors in das Bronchialsystem ist eine Heilung nicht mehr möglich. Die Überlebenszeit beträgt in der Regel weniger als 6 Monate. Im Vordergrund stehen die Linderung der Beschwerden und die Erhaltung der Lebensqualität. Die möglichen palliativen Therapiemaßnahmen beinhalten die endoskopische Bougierung (Dehnung) der tumorbedingten Engstellen, die Tumorvaporisierung, die Bestrahlung, die kombinierte Radiochemotherapie und die Tubus- oder Stentimplantation.

Die Selektion der palliativen Therapiemethode bleibt letztendlich den verfügbaren therapeutischen Möglichkeiten der behandelnden Institution vorbehalten. Jedoch sollten auch die persönlichen Lebensumstände des Patienten bei der Wahl der palliativen Therapie miteinbezogen werden, mit dem Ziel, dem Patienten möglichst lange ein sozial verträgliches Leben in seiner häuslichen Umgebung zu ermöglichen.

Zukunftsausblick

Gegenstand der Forschung sind derzeit endoskopische Strategien und molekularbiologische Marker, die es ermöglichen, die Erkrankung bereits frühzeitig, also in einem gut behandelbaren Stadium, zu erkennen. Weiters wird in nächster Zukunft auch die Verhinderung, also Prävention, der Entstehung bösartiger Speiseröhrentumore verstärkte Aufmerksamkeit gewinnen.

Bei Patienten mit frühen Tumorstadien sind kleinere operative Eingriffe als die totale oder subtotale Speiseröhrenentfernung in klinischer Erprobung, sowie auch neue Techniken zur Wiederherstellung der Speisepassage, die eine bessere Lebensqualität nach der Operation bieten. Auch die Lymphknotenentfernung kann möglicherweise durch Entwicklung der sogenannten “Sentinel-node” Technik (wie in der Brustdrüsenchirurgie) differenzierter erfolgen.

Im Mittelpunkt der Forschung bei Patienten mit fortgeschrittenen Tumoren steht derzeit das Bestreben, diejenigen Patienten zu identifizieren, die auf eine strahlen- und/oder chemotherapeutische Therapie ansprechen und durch die Kombination mit der Operation eine deutlich verbesserte Lebenserwartung aufweisen.

Anschrift des Autors:
Priv. Doz. Dr. med. Hubert J Stein
Chirurgische Klinik und Poliklinik
Klinikum rechts der Isar der TU München
Ismaningerstr 22
D-81675 München
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