Das Karpalkanalsyndrom (KTS)

von Dr. Christoph Pezzei

Nerven haben in ihrem anatomischen Verlauf physiologische Engstellen zu passieren. Diese Engstellen sind bedingt durch Bandstrukturen, die sich über die Nerven, Gefäße, Sehnen und Muskeln spannen. Eine solche Engstelle befindet sich am Handgelenk. Das KTS ist das häufigste aller Nervenengpassyndrome und gehört zu den bestuntersuchten Erkrankungen des Nervensystems. Allein in den letzten 3 Jahren wurden über 13 000 Veröffentlichungen publiziert.

Der Karpalkanal stellt die Verbindung zwischen Unterarm und Hohlhand dar. Er wird gebildet von einem knöchernem Anteil (den Handwurzelknochen – Erbsenbein/Os pisiforme, Hammerbein/Hamulus ossis hamati, Schifferbein/Tuberculum ossis navicularis, Tuberculum ossis trapezii) und einem bindegewebigen Anteil (Ligamentum (=Band) carpi transversum ). In diesem Kanal verlaufen die 9 Sehnen der Fingerbeuger sowie der betroffene Nerv (mit Eigennamen Nervus medianus). Die mittlere Länge des Bandes beträgt 2.6 cm, die Breite 2.1 cm, die Dicke zwischen 0.5 und 0.9 cm. Kommt es nun zu einer Volumenzunahme an dieser Engstelle, so ist zunächst der Nerv von dieser Einengung betroffen.

Häufigkeit und Ursachen

Die Inzidenz beträgt ca. 500/100 000. Frauen sind öfter betroffen als Männer, vorwiegend in der Altersgruppe 40 bis 60 Jahre mit Prävalenz der häufiger verwendeten Hand.
Die Ursache der Erkrankung lässt sich häufig nicht feststellen. Man kann jedoch zwei prinzipielle Gründe unterscheiden. Einerseits die Einengungen des Karpalkanals, andererseits ein krankhaft vermehrter Rauminhalt im Kanal.

Die bekannten Ursachen machen nur den kleineren Teil der vorkommenden Fälle aus. Das KTS tritt auch bei einigen Allgemeinerkrankungen vermehrt auf. Bei Diabetes mellitus kommt das KTS in 10-15% vor. Weiters bei Schilddrüsenerkrankungen, Akromegalie, Hormonzufuhr, Schwangerschaft, Dialysepatienten, Infektionskrankheiten.

Mechanische Einengungen des Kanals können zu Störungen führen. Typischerweise bei in Fehlstellung verheilte Speichenfrakturen, Luxationen der Handwurzelknochen, Ganglien, Fremdkörper, Tumore des Bindegewebes, Fettgeschwulsten und so weiter. Während das klassische KTS schleichend beginnt, gibt es auch eine akute Entwicklung: bei ausgedehnten lokalen Verbrennungen, Insekten-, Schlangen- und Tierbissen, eitrigen Infektionen, Blutergüssen und natürlich auch bei allen traumatischen Veränderungen. In diesen akuten Fällen ist eine sofortige operative Spaltung der Karpalkanals notwendig.

Das KTS entwickelt sich meist langsam. Die verminderte Gefühlsempfindung steht dabei im Vordergrund. Diese wird meist in allen Fingern empfunden, wobei erst nach genauer Befragung die Aussparung des 5. und teilweise 4. Fingers angegeben werden. Die Patienten klagen über “eingeschlafene Hände” vor allem in der Nacht. Die sensiblen Missempfindungen werden durch Lagerung ausgelöst und können zunächst durch Schütteln beseitigt werden. Auch Ungeschicklichkeit (“mir fällt alles aus der Hand”) oder funktionelle Einschränkung der Daumenmuskulatur ( Krämpfe bei feiner Tätigkeit ) können vorkommen.

Der eingeklemmte Nerv schmerzt

Diese Schmerzen sind ein weiterer wichtiger Aspekt. Sie können lokal am Handgelenk auftreten oder strahlen über die Ellenseite des Unterarmes gelegentlich sogar bis zur Schulter aus. Auch diese Beschwerden treten vorwiegend während der Nacht auf und werden Brachialgia nocturna bezeichnet. Besteht die Erkrankung viele Jahre, so kann es auch zu einem Schwund der Daumenballenmuskeln kommen. Der Daumen kann dann nicht mehr den Fingern gegenübergestellt werden.

Neben der Anamnese und der klinischen und neurologischen Untersuchung ist die Bestimmung der Nervenleitgeschwindigkeit (EMG) unumgänglich. Dabei wird die Weiterleitung des elektrischen Reizes im Verlauf des Nervens durch die Verengung gemessen. Da die Kompression des Nervens die Weiterleitung des Signals bremst, kann durch die Verlängerung der Leitgeschwindigkeit nicht nur die Erkrankung selbst diagnostiziert, sondern durch das Ausmaß der Verlängerung auch die Schwere der Erkrankung objektiviert werden. Die Untersuchung ist absolut schmerzlos und kann im Rahmen einer fachärztlichen neurologischen Untersuchung durchgeführt werden.

Um raumfordernde Prozesse auszuschließen werden Röntgenaufnahmen des Handgelenkes in 2 Ebenen sowie spezielle Karpaltunnelaufahmen angefertigt. Neben diesen Standarduntersuchungen können bei Bedarf noch Ultraschalluntersuchungen und eine Magnetresonanztomographie die diagnostischen bildgebenden Verfahren ergänzen. Laborchemische Blutuntersuchungen sind zum Ausschluss von metabolischen Erkrankung (Diabetes, … ) erforderlich.

Woran man denken sollte

Bandscheibenläsionen im Halsbereich können ähnliche Beschwerden verursachen. Andererseits haben viele Patienten bereits mehrere frustrane Untersuchungen und Behandlungen der Halswirbelsäule hinter sich, bevor an das Carpaltunnelsyndrom gedacht wird.
Aber auch bei Multipler Sklerose, bei Durchblutungsstörungen im Kopf und bei entzündlichen Erkrankungen des Nervensystems können ähnliche Symptome beobachtet werden.

In den Frühstadien kann eine konservative Therapie eingeleitet werden. Darunter werden physikalische Maßnahmen mit einer speziell angepassten, nächtlichen Lagerungsschiene, eine Elektrotherapie und eine Ultraschallbehandlung zusammengefasst. Generell sollten Tätigkeiten, bei denen die Hände länger im Handgelenk gestreckt oder gebeugt sind, vermieden werden. Kurzfristig wird auch die Einnahme von nichtsteroidalen Antirheumatika und Vitamin B empfohlen. Eventuell können Infiltrationen des Karpalkanals mit einem cortisonhältigen Medikament die Beschwerden minimieren.

Kommt es mittelfristig nicht zu einer Besserung, muss um einen unheilbaren Schaden am Nerven vorzubeugen, ein operativer Eingriff ins Auge gefasst werden. Die Entscheidung zur Operation sollte erst nach Beratung durch einen erfahrenen Handchirurgen getroffen werden.

Die Operation: offen oder minimal invasiv

Bei der Operation wird der Nervenkanal erweitert. Hierbei wird das Dach des Karpalkanals (=Ligamentum carpi transversum) gespalten. Es gibt grundsätzlich 2 Techniken der Karpalkanalspaltung: 1. die offene Technik, 2. die minimal invasiv endoskopische Technik.

Bei der offenen Technik wird über einen ca. 4 cm langen Hautschnitt der Karpalkanal dargestellt und gespalten. Feine Nervenäste unter der Haut werden dabei meist durchtrennt und führen gelegentlich zu unangenehmen Narbenbeschwerden. Durch den relativ großen Hautschnitt ist die postoperative Behinderung größer und dauert in der Regel länger an.

Die minimal invasive Technik ist sehr anspruchsvoll und wird nur an spezialisierten Abteilungen angeboten. Über ein oder zwei, jeweils ca. 7 mm große Hautinzisionen wird ein Endoskop eingeführt und unter Videokontrolle das Band gespalten. Bei dieser Technik werden die unter der Haut liegenden Nervenäste geschont, dies äußert sich in einem geringeren Wund und Narbenschmerz, kurzer stationäre Aufenthalt, die Wiedererlangung der Funktionalität ist rasch gegeben. Als kritisch zeigte sich jedoch, dass diese Technik ausreichende Übung und handchirurgische Erfahrung des Operateurs voraussetzt, da das Risiko einer Gefäß oder Nervenverletzung gegeben ist.