Narbenbrüche

Bei 10% aller größeren Eingriffe in der Bauchregion muss mit einem Bruch gerechnet werden. Darunter versteht man eine mehr oder weniger große Vorwölbung unter der Haut in einem Narbengebiet. Verursacht wird diese Vorwölbung wenn die alte Narbe dem Druck im Bauchraum nicht mehr standhält und die Muskulatur zur Seite gedrängt wird.

Vor allem Wunden in der Mittellinie zwischen dem Nabel und dem Brustbein sind die bevorzugte Lokalisation für das Auftreten einer
Bauchdeckenschwäche. Seltener finden sich Brüche in Narben nach vorhergehenden Leistenbrüchen (1-5%, je nach Methode), nach Sectionen (Kaiserschnitt bei der Geburt), bei den früher üblichen Rippenbogenrandschnitten zur Gallenblasenentfernung oder in den Wunden im rechten Unterbauch nach Blinddarmentfernungen.

Statistiken über die Häufigkeit von erstmaligen Brüchen (Hernien) sind zahlreich und gut dokumentiert. Narbenbrüche mit ihren Therapien und Erfolgsquoten sind schwieriger zu erfassen und zu kontrollieren. Das Zeitintervall bis zu Auftreten eines Narbenbruches kann von wenigen Stunden (Ausnahmefälle) bis zu Jahrzehnten dauern. Viele Patienten finden auch nicht mehr den Weg zur erstbehandelnden Institution oder suchen auch gar keinen Arzt mehr mit diesem Problem auf. Die Größe und die oft fehlende Symptomatik können eine Begründung dafür sein. So gestaltet sich eine Untersuchung über das Auftreten von Narbenbrüchen eher schwierig.

Verantwortlich sind die Fibroblasten

Für die Narbenbildung sind in erster Linie die Fibroblasten (faserbildende Zellen) verantwortlich. Nach der ersten Phase der Wundheilung (1.-5. Tag), in der vor allem entzündliche Veränderungen im Vordergrund stehen, kommt es in den folgenden 2 Wochen zur Vermehrung dieser faserbildenden Zellen und auch zur Neubildung von Blutgefäßen (Angioneogenese).

Eine bakterielle Besiedelung oder eine mangelhafte Schonung führen nachweislich zu einem deutlich beeinträchtigten Ablauf. Nach 2 Wochen ist in der Regel der Wunddefekt von dem noch minderwertigen Kollagen Typ III verschlossen. Diese Kollagenmatrix wird von feinen Kapillaren (das sind extrem kleine Blutgefäße) durchzogen und bildet die Vorstufe des festen Kollagens Typ I und verleiht der Narbe die erste Stärke.

Die Endphase der Wundheilung ist auch die längste. Sie dauert vom 21. Tag bis zu einem Jahr oder länger an. Während dieser Zeit findet der Umbau des Kollagens statt. Die definitive Narbe enthält zunehmend weniger Zellen und gewinnt an Reißkraft. Letzten Endes erreicht die Narbe ca. 80% der ursprünglichen Stärke, und bleibt dem Originalgewebe in den meisten Fällen unterlegen.

Die Narbenbildung stellt damit einen relativ langen und komplexen Ablauf dar und ist bis zur weitgehenden Restitution mannigfachen Einflüssen unterworfen. Adipositas (Übergewicht) ist ein Faktor ist ein Faktor, der bei Menschen mit einem BMI über 40 das Risiko einen Narbenbruch zu erleiden, auf 50% (!) hinaufschnellen lässt. Stoffwechselerkrankungen, wie z.B. die Zuckerkrankheit und auch die Leberzirrhose erhöhen ebenfalls das Risiko für einen Narbenbruch. Mangelnde Schonung, vor allem in der frühpostoperativen Phase, verringert die Menge und die Anordnung der Kollagenfasern, wodurch die Narbenbildung ebenfalls beeinträchtigt wird.

Das Hauptsymptom eines Bruches ist eine Vorwölbung im Bereich der Bruchlücke, durch welche alle möglichen Bauchanteile nach vorne gegen die Haut gepresst werden können. Zumeist finden sich Anteile des großen Bauchnetzes und Dünndarmschlingen im Bruchsack;bei großen Brüchen können aber auch Dickdarm und Magenanteile in den Bruchsack verlagert werden. Diese Vorwölbung im unmittelbaren Narbenbereich kann nun durch eine, bei größeren Narben nicht selten durch mehrere Lücken in der Bauchwand verursacht werden.

Die meisten Brüche verursachen keine oder nur geringe Schmerzen. Oft wird nur ein unspezifisches Ziehen oder Brennen im Narbenbereich angegeben.

Wenn der Bruch schmerzt

Schmerzen stellen bereits ein Alarmsignal dar und sind Ausdruck einer Einklemmung im Bruchbereich. Dabei werden die in den Bruch verlagerten Darmanteile derart verdreht und geknickt, dass die Nahrungspassage nicht mehr möglich ist. Die derben Bruchränder führen zu Einschnürungen am Darm und an den versorgenden Blutgefäßen. Zu Beginn einer Einklemmung ist eine spontane Rückverlagerung möglich, mit zunehmender Dauer eher unwahrscheinlich. Zu diesem Zeitpunkt ist die Haut über dem Bruch stark gerötet und geschwollen und bereits bei vorsichtiger Berührung stark schmerzhaft. Begleitend werden diese Lokalsymptome von den Anzeichen eines Darmverschlusses, wie Erbrechen und Sistieren von Wind- und Stuhlabgang.

Für die Diagnostik eines Narbenbruches ist zumeist die tastende Hand eines erfahrenen Arztes ausreichend. Der Patient wird im Stehen und Liegen untersucht und mehrmals aufgefordert zu Pressen oder zu Husten. Dabei wölbt sich der Bruchsack durch die Erhöhung des Druckes im Bauchraum gegen den tastenden Finger vor. Außerdem lässt sich dabei auch der zumeist derbe Bruchring identifizieren und die Größe der Bruchlücke abschätzen. Größere Brüche fallen bereits bei der Betrachtung auf.

Schwieriger wird die Sache bei Patienten mit Beschwerden im Narbenbereich ohne auffallende Vorwölbung. Da diese Beschwerden vielfältige Ursachen haben können, die aber alle schwierig nachzuweisen sind (z.B. Nervenschäden, ..), muss ein Narbenbruch sicher ausgeschlossen werden. Eine Ultraschalluntersuchung ist der erste Schritt der bildgebenden Diagnostik, wenngleich festgestellt werden muss, dass eine Computertomographie oder eine Magnetresonanztomographie eine bessere Aussage über die Integrität der Bauchdecke ergibt.
Laboruntersuchungen helfen bei einfachen Brüchen nicht weiter. Im Falle einer Einklemmung sind die weißen Blutkörperchen im Blutbild deutlich erhöht. Besteht eine schwere Durchblutungsstörung steigt auch die Milchsäure im Blut (Lactat) extrem an.

Knoten in der Narbe

Besondere Probleme betreffen die Diagnostik von kleinen Narben, wie zum Beispiel nach laparoskopischen Operationen oder nach kleinen Nabelbrüchen. Vor allem in der frühpostoperativen Phase bestehen hier deutliche Schwellungen und knotenförmige Verhärtungen im Wundbereich. Diese durchaus normale Wundreaktion bildet sich erst im Laufe von 2 Monaten zurück. Erst dann ist eine suffiziente Beurteilung möglich.
Die besondere Problematik von diesen kleinen Bauchdefekten besteht darin, dass bei ganz kleinen Einstischen (5-10 mm) ist in vielen Fällen keine Naht möglich. So wurde die Häufigkeit von Narbenbrüchen nach laparoskopischen Operationen gaben in der Anfangsphase dieser Technik mit 5% angegeben.

Generell ist jeder Bruch eine Indikation für einen operativen Eingriff, da immer ein Risiko für eine Einklemmung mit dramatischen Folgen besteht. Ausgenommen sind lediglich Patienten, denen eine Operation überhaupt nicht mehr oder nur eingeschränkt zugemutet werden kann (sehr hohes Alter, schwerwiegende Nebenerkrankungen,..). Auch Patienten mit extremer Adipositas (Fettleibigkeit) werden primär von der Operation ausgeschlossen, mit dem Ziel zunächst eine Gewichtsreduktion anzustreben, da sonst das Risiko für einen neuerlichen Bruch außerordentlich hoch ist!

Zurück zu den Ursprüngen

Ziel der Narbenbruchchirurgie ist die Wiederherstellung der natürlichen Anatomie. Dazu zählt vor allem eine Rekonstruktion der geraden Bauchmuskulatur (das ist jener Muskel, der für den Waschbrettbauch verantwortlich zeichnet und den schon Michelangelo bei seinem David eindrucksvoll herausgearbeitet hat). Bei den meisten Narbenbrüchen weicht dieser Muskel weit zur Seite und kann nur durch eine weitgehende Mobilisierung wieder in die ursprüngliche Position gebracht werden.

Netz oder nicht Netz: das ist die Frage

Die derzeit gängigen operativen Techniken unterscheiden sich vor allem hinsichtlich des Einsatzes von Kunststoffnetzen. Hier steht der Medizin ein breites Angebot zur Verfügung. Die modernen Netze sind extrem leicht und lösen sich teilweise sogar wieder auf. Es gibt Netze mit einer Titanbeschichtung und speziell oberflächenbeschichtete Netze, die auch direkt in den Bauch eingebracht werden können.

Kleinere Bruchlücken (3-4 cm Distanz in der Medianen) werden meistens ohne prothetisches Material verschlossen. Der Bruchinhalt wird in den Bauch zurückverlagert und der Bruchsack entfernt. Die Wundränder werden mobilisiert und der Defekt entweder einfach oder durch eine Doppelung der Bindegewebeschicht (z.B. “Mayo” Plastik) verschlossen.

Soll ein größerer Bruch ohne Kunststoffimplantat behandelt werden, dann ist eine ausgedehnte Mobilisierung der geraden Bauchmuskulatur erforderlich (z.B. “sliding door” Technik,…). Schichtweise werden die Bauchdecken präpariert und anatomisch genau wieder in der Mittellinie verschlossen. Dieses Vorgehen führt allerdings bereits primär zu einer gewissen Spannung und Belastung im Nahtbereich. Deshalb wird bei diesen Verfahren auch meist eine lange körperliche Schonung (3-12 Monate) empfohlen.

Dem gegenüber stehen die Verfahren mit Verwendung von Kunststoffnetzen.

Diese können zusätzlich zur Verstärkung einer der oben angeführten Techniken verwendet werden. Dabei wird das Netz entweder über der straffen Bindegewebeschicht fixiert (“On-lay”) oder zwischen der geraden Bauchmuskulatur und dem Bauchfell (“Sub-lay”). Falls sich die Bauchdecken in der Mittellinie nicht mehr vereinigen lassen oder die Spannung zu groß erscheint, dann wird ein entsprechend großes Kunststoffnetz auch gänzlich zur Deckung des Defektes verwendet.

In wenigen Ausnahmefällen (nach wiederholten Brüchen und ausgedehnten Defekten) kann auch ein Haut-Muskel-Lappen zur Abdichtung der Bruchlücke Verwendung finden (das ist allerdings eine Domäne der Plastischen Chirurgie).

“Jetzt auch laparoskopisch erhältlich”

Wie überall in der Chirurgie kommen auch hier zunehmend laparoskopische Techniken zur Anwendung. Grundvoraussetzung war die Entwicklung spezifischer oberflächenbeschichteter Netze, die über eine kleine Kanüle in den Bauch eingebracht und innen an die Bauchdecke fixiert werden. Wichtig ist, dass die Netze die Bruchlücke an jeder Seite um mehrere Zentimeter überragen müssen. Die Fixierung erfolgt teilweise durch Nähte, die durch die Bauchdecke geführt werden, teilweise mit einem Klammernapparat. Dabei werden die Netzränder mit korkenzieherartigen Metallklammern an der inneren Bauchdecke verankert. Im Unterschied zu den herkömmlichen Methoden bleibt der Bruchsack (allerdings ohne Bruchinhalt) erhalten. Dieser füllt sich zunächst mit Gewebsflüssigkeit und ist auch noch einige Wochen nach der Operation tastbar, bevor er mit zunehmender Resorption der Flüssigkeit verschwindet. Der Vorteil der laparoskopischen Methoden liegt vor allem darin, dass die Patienten bereits relativ rasch belastbar sind. Allerdings kann durch die laparoskopische Technik die komplexe Anatomie der Bauchdecke nicht rekonstruiert werden.

Wie sind die Chancen?

Das Risiko für einen neuerlichen Narbenbruch wird zwischen 10%und 25 angegeben. Für Risikopatienten mit starkem Übergewicht, Diabetes, etc steigt die Wahrscheinlichkeit für ein Rezidiv sogar bis 50% an. Dass die modernen Operationsverfahren zu einer Verbesserung führen, kann erwartet werden, genaue wissenschaftliche Daten liegen jedoch noch nicht vor. Es scheint aber, dass die Verwendung von Kunststoffimplantaten zu besseren Ergebnissen führt. Die laparoskopische Technik ist an den meisten Kliniken noch kein Standard, sodass eine Bewertung derzeit noch schwierig ist.

Wie auf vielen Gebieten der Chirurgie führt eine Spezialisierung einzelner Abteilungen hinsichtlich spezifischer Techniken zu hervorragenden Ergebnissen, die allerdings an anderen Chirurgien mit Spezialisierung in eine andere Richtung überhaupt nicht reproduzierbar sind. So gibt es kaum mehr Abteilungen, die das gesamte Spektrum in gleich hoher Qualität anbieten können. Noch eklatanter wird es in den so genannten “Zentren”. Hier wird zumeist nur noch ein einziges Verfahren durchgeführt.

Abschließend muss festgestellt werden, dass es heute sehr wenig harte wissenschaftliche Fakten gibt, um mit Sicherheit ein Verfahren gegenüber anderen vorzuziehen.