Adipositas – Übergewicht und Fettsucht

von Univ.-Prof. Dr. Bernhard Ludvik,
Univ.-Klinik für Innere Medizin III, AKH Wien

Übergewicht wird eines der wesentlichsten Gesundheitsprobleme des 21.Jahrhunderts werden. Schon jetzt ist der Anteil an krankhaft übergewichtigen Personen in allen Altersgruppen – vor allem auch im Kindes- und Jugendalter – deutlich im Ansteigen begriffen. Und es ist keinerlei Trendwende in Sicht.

Wer wird übergewichtig?

Man geht heut davon aus, dass genetische Faktoren bei der Entstehung der Adipositas eine wichtige Rolle spielen. Aber auch die jeweiligen Lebens- und Umweltbedingungen sind von wesentlicher Bedeutung. Der adipöse Phänotyp ist also das Ergebnis unserer Erbanlagen mit übermäßiger Ernährung und Bewegungsmangel.

Genetischen Faktoren bestimmen hier die Tendenz zu vermehrter Nahrungsaufnahme, vor allem aber auch zu vermindertem Energieumsatz und bevorzugter Fettspeicherung. Zusätzliche Faktoren wie hormonelle Störungen (etwa bei Schilddrüsenunterfunktion) können ebenfalls den Energieumsatz verringern. Auch Menschen, die als Kinder besonders klein oder groß waren, haben ein größeres Risiko, im Erwachsenenalter dick zu werden; die Ursachen dafür sind noch unklar.

Die Funktion des Fettgewebes besteht in der Speicherung von Triglyzeriden zu Zeiten erhöhter Nahrungszufuhr und deren Freisetzung bei erhöhtem Energiebedarf, wenn dieser aus der Nahrung nicht gedeckt werden kann. Dieser Mechanismus, der unter Bedingungen generellen Nahrungsmangels äußerst sinnvoll ist, wird in Zeiten der Überversorgung jedoch zum Problem.

Die Rolle der Hormone

Die hormonelle Steuerung der Fettbildung erfolgt unter anderem durch Insulin. Gegenspieler sind die Katecholamine, die zu verstärkter Fettauflösung führen. Im Fettgewebe selbst wird ein Hormon produziert (Leptin), das in die Steuerung des Hungergefühls eingreift, weiters Östrogen, und eine Reihe anderer Substanzen. Die Forschung auf diesem Gebiet ist noch in vollem Gange, klar dürfte jedoch jetzt schon sein, dass Leptin beim Menschen therapeutisch keine Rolle spielen wird.

Das Körpergewicht eines Erwachsenen wird anhand des Body Mass Index klassifiziert. Der BMI errechnet aus dem Körpergewicht und der Körpergröße.

Hat also ein 1,76m großer Erwachsener ein Gewicht von 87,5kg, so ergibt sich ein BMI von 87,5 : (1,76 x 1,76) = 87,5 : 3,0976, das ergibt weiter einen gerundeten BMI von 28,3.

Wieviel ist noch “normal”?

Nach einer Definition von Koppelmann (1988) wird das Körpergewicht in Normalgewicht und drei Schweregrade der morbiden Adipositas eingeteilt.

Für das Jahr 2001 wird von Ernährungsmedizinern ein Anteil von 11% Adipösen (BMI über 30) an der österreichischen Bevölkerung angegeben; in manchen westeuropäischen Ländern beträgt dieser Anteil bereits 15%. Aber auch in Österreich ist mit einem relativen Anstieg von 30% in den letzten zehn Jahren der Trend zu immer mehr krankhaft übergewichtigen Personen deutlich. Zirka 1% der Bevölkerung hat sogar eine Adipositas vom Grad III und somit einen BMI von über 40.

Der “kleine” Unterschied zwischen Mann und Frau

Auffallend ist eine unterschiedliche Fettverteilung bei Mann und Frau. Während bei der Frau sich die Hauptmasse des Fettes im Unterhautgewebe typischerweise an den Hüften und Oberschenkeln verteilt, findet sich beim Mann das meiste Fett eher im Inneren des Bauchraumes. Interessanterweise ist das Risikopotential für die Entwicklung von Herzkreislauferkrankung für den männlichen (androiden) Fetttyp ist deutlich höher, da dieses Fett rascher in den Stoffwechsel einbezogen wird.

Es gibt jedoch auch einen gewissen Prozentsatz von Männern mit gynoider bzw. Frauen mit androider Fettverteilung, die dann auch das kardiovaskuläre Risiko des jeweiligen Fettverteilungstyps tragen.

Adipositas führt zu einer ganzen Reihe von Folgeerkrankungen, die insgesamt von großer Bedeutung für die Gesamtbevölkerung westlicher Länder sind. Viele Folgen der Adipositas lassen sich über die Auswirkungen auf Blutdruck, Gefäßverkalkung und Kohlenhydrat-Fett-Stoffwechsel erklären.

Da Herz-Kreislauf-Erkrankungen in Industrieländern die Todesursache Nummer eins sind und wohl auch bleiben werden, ist klar ersichtlich, dass der Eindämmung bzw. Therapie der Adipositas eine entscheidende Rolle zukommt.

Hypertonie (Bluthochdruck) ist die häufigste Begleiterkrankung der Adipositas. Dementsprechend deutlich wird auch die Senkung der Blutdruckwerte durch Gewichtsabnahme.

Die Blutzuckererkrankung des älteren Menschen (Typ 2 Diabetes) ist ebenfalls eine durch Insulinresistenz bedingte Folgeerkrankung der Adipositas. Ab einem BMI von 30 ist das Diabetesrisiko im Vergleich zu schlanken Frauen mit einem BMI unter 22 um mindestens das Dreißigfache (!) erhöht. Die überwiegende Mehrzahl aller Typ-2-Diabetiker ist zum Zeitpunkt der Diagnosestellung übergewichtig.

Mit einer Gewichtszunahme von 5 bis 8kg steigt das Risiko einer Herzkranzgefäßerkrankung (KHK) um 25% an. Auch für die Herzschwäche ist Adipositas ein Risikofaktor, der bei gleichzeitig bestehender Blutzuckererkrankung und hohem Blutdruck weiter potenziert wird.

Eine neuere Studie gibt an, dass bei Frauen ein BMI von über 27 bereits ein um 75% erhöhtes Schlaganfallrisiko (cerebraler Insult) bedeutet, bei einem BMI über 32 ein erhöht sich das Risiko auf 137%.

Eine ganze Reihe weiterer Komplikationen geht ebenfalls mit der Adipositas einher: Vom Schlafapnoe-Syndrom über Gicht, Gallenblasenerkrankungen, orthopädischen bis zu psychosozialen Komplikationen reicht die Liste der häufigen – und eindeutig belegten – Begleiterscheinungen des krankhaften Übergewichts.

Nicht so eindeutig belegt ist der Zusammenhang zwischen Adipositas und bestimmten Krebserkrankungen (wie z. B. Kolon- oder Gallenwegskarzinomen); hier existieren zum Teil widersprüchliche Daten.

Es gibt vier klar definierte Therapieziele für die Adipositas, zum einen die langfristige Gewichtsreduktion – Crash-Diäten mit JoJo-Effekt sind kontraproduktiv. Zweitens sollen Begleiterkrankungen möglichst reduziert oder vermieden werden; drittens muss, um anhaltende Therapieerfolge überhaupt zu ermöglichen, das Gesundheitsverhalten des/der Betroffenen verbessert werden, und viertens sollte die Therapie weitgehend frei von Nebenwirkungen sein.

Diäten stehen im Vordergrund

Diätmaßnahmen bleiben auch heute ein wesentlicher Bestandteil jeder Adipositastherapie. Die Reduktion der Energieaufnahme muss ausgewogen und mit langfristiger Perspektive erfolgen. Ziel jeder Gewichtsreduktion ist eine Reduktion des Körperfetts bei weitgehender Erhaltung der Funktions- und Strukturproteine. Man unterscheidet verschiedene Diätformen, wobei hier nur die Grundzüge kurz angerissen werden können. Zur praktischen Umsetzung ist die Zusammenarbeit mit Diätassistentinnen unbedingt zu empfehlen.

  • Die kalorienreduzierte Mischkost sollte ein Energiedefizit von mindestens 500kcal pro Tag erzeugen und zu 50-55% aus Kohlenhydraten, zu 20% aus Eiweiß und zu 15-20% aus Fett bestehen.
  • Reduktionsdiäten haben per definitionem einen Energiegehalt von nur 700 bis 1.000kcal pro Tag und sollen mindestens 25%, höchstens jedoch 50% Eiweiß enthalten. Der Fettgehalt am Gesamt-Brennwert darf 30% nicht überschreiten. Der Ballaststoffgehalt soll sich zwischen 10g und 30g pro Tag bewegen. Weiters müssen natürlich auch hier, wie in allen Diätformen, ausreichend Vitamine, Spurenelemente und Mineralien enthalten sein.
  • Extrem hypokalorische Diäten dürfen nur unter ärztlicher Aufsicht angewendet werden. Sie enthalten 450-700kcal/die und müssen aus mindestens 50g Eiweiß, 45g Kohlehydraten und 7g Fett bestehen, wobei hier Vitamine und Spurenelemente substituiert werden sollten. Diese Diätformen dürfen maximal vier bis sechs Wochen verwendet werden, und auch das nur bei Hochrisikopatienten, bei denen aus medizinischen Gründen eine schnelle Gewichtsabnahme unabdingbar erscheint.
  • Modifiziertes Fasten sollte nur ab einem BMI von 35,0 und nach Möglichkeit unter stationären Bedingungen durchgeführt werden. Hier lassen sich hohe Gewichtsverluste erreichen, die bis zu 80% aus Fettgewebe bestehen; besonders Hochrisikopatienten profitieren von dieser Maßnahme.
  • Kommerzielle Programme zur Gewichtsreduktion sind nur dann zu empfehlen, wenn lediglich Grad I (BMI zwischen 25 und 29,9) vorliegt und keine Begleiterkrankungen bestehen. Hier ist dann auch keine ärztliche Aufsicht erforderlich.

Außenseiterdiäten können generell nicht empfohlen werden, da sie zumeist in der Nährstoffzusammensetzung nicht balanciert und wissenschaftlich nicht begründbar sind.

Bewegung

Bewegung ist ein wesentliches Element jeder Gewichtsreduktion, da der erhöhte Energieverbrauch vor allem auf Dauer mithilft, die erreichte Gewichtsreduktion zu halten und den Gesundheitszustand zu verbessern. Personen in Industrieländern nehmen zwischen dem 20. und dem 60. Lebensjahr im Durchschnitt 20kg zu, wenn sie körperlich inaktiv sind; bei körperlicher Aktivität ist diese Zunahme viel geringer.

Eine Verhaltenstherapie ist vor allem für den Langzeiterfolg einer Gewichtsreduktion wichtig. Es geht dabei um die Verstärkung der Selbstkontrolle, Verhaltenstraining, kognitive Therapie, das Erlernen von Stimulus-Kontrollstrategien, Stressmanagement und vieles mehr. Der Aufbau einer langfristig realisierbaren Selbstkontrolle ist das Therapieziel.

Wann können Medikamente helfen

Die medikamentöse Therapie zur Reduktion der Adipositas verfolgt zwei Ziele: Zum einen soll sie die Phase der Gewichtsreduktion unterstützen, zum anderen die Phase der Gewichtserhaltung erleichtern. Jede Pharmakotherapie muss in ein multimodales Therapiekonzept eingegliedert werden und ist andernfalls sinnlos und zum Scheitern verurteilt. Grundsätzlich stehen zwei Ansätze zur Verfügung:
einerseits die Hemmung der Fettaufnahme im Darm
andererseits durch Reduktion des Hungergefühls.

Die operative Therapie ist vor allem den Patienten mit Adipositas Grad III vorbehalten, wenn sie seit mehr als drei Jahren besteht. Operationstechniken wie gastric banding sind heute bereits chirurgische Routine und wirken dann hervorragend, wenn sie, ebenso wie eine medikamentöse Therapie, in ein therapeutisches Gesamtkonzept eingebunden werden.

Wissenschaftliche Leitung:
Univ.-Prof. Dr. Bernhard Ludvik,
Univ.-Klinik für Innere Medizin III, AKH Wien